Im Gespräch mit Michael Diederich

Im Gespräch mit Michael Diederich

Ein Podcast der HypoVereinsbank

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HVB Mitarbeiter Podcast

„Im Gespräch mit Michael Diederich“, Episode 9

(Intro)

Andrea Rexer: Hallo und herzlich willkommen zur neuen Ausgabe unseres Mitarbeiter Podcasts "Im Gespräch mit Michael Diederich". Hallo Michael.

Michael Diederich: Hallo Andrea. Herzlich willkommen, liebe Zuhörer. Und sag mal, der wievielte Podcast ist das eigentlich?

Andrea Rexer: Das ist schon die neunte Ausgabe. Das heißt, wir feiern bald das erste Jubiläum. Aber heute geht es erst einmal um ein ernstes Thema.

Michael Diederich: Worum denn?

Michael Diederich: (Teaser)

Andrea Rexer: Um eine Frage, die wir uns alle stellen, nämlich: Wann wird es endlich wieder besser? Wie steht es um Deutschland im Corona Herbst? Darüber sprechen wir mit dem Chef des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest.

Zitat Clemens Fuest: "Die Banken werden Wertberichtigungen vornehmen müssen. Das haben sie teilweise schon, aber das wird möglicherweise zunehmen. Die Banken waren ja vor der Krise ganz gut kapitalisiert, besser als vor der Finanzkrise, Gott sei Dank, das wird aber mit Sicherheit zu einer Belastung. Gar keine Frage."

Zitat Clemens Fuest: (Jingle)

Michael Diederich: Aber ich gehe mal davon aus, wir fangen erst mal wieder mit einer interessanten Hörer-Frage an, oder?

Andrea Rexer: Ganz genau. Und die kommt heute von Veronika Attensberger aus dem Marketing. Sie fragt: "Man liest immer wieder von Bankern, die plötzlich etwas ganz anderes machen. Vielleicht etwas Soziales oder etwas Karitatives, anstatt sich auf Geld zu konzentrieren. Haben wir solche Leute auch bei der HypoVereinsbank?" Sie meint also, dass man sich nach dem Leben in der Bank ein ganz neues Leben in einer ganz anderen, vielleicht sozialeren Branche aufbaut. Juckt dich das eigentlich manchmal, Michael, den Job hinzuwerfen, um was völlig anderes zu machen?

Michael Diederich: Ganz ehrlich, wenn ich mich damit beschäftigen würde, könnte ich meine Rolle und meine Aufgabe hier nicht wirklich ausfüllen. Die Aufgabe und die Verantwortung sind einfach riesengroß und ich mache das, was ich hier mache, sehr gerne.

Andrea Rexer: Und zwar so gerne, dass du gerade akzeptiert hast, dass dein Vertrag verlängert wird, nämlich um drei Jahre bis Ende 2024.

Michael Diederich: Stimmt genau. Die Presse sagt: "Ich bin ein Kind dieser Bank". Und Scherz beiseite, in der Tat fühle ich mich den Kollegen und den Kolleginnen hier gegenüber einfach verantwortlich.

Andrea Rexer: Und das heißt auch, dass du keine Zeit für Soziales hast, oder?

Michael Diederich: Nein, das würde ich so nicht sagen. Aber ich würde das nicht immer nur auf das beschränken, was man irgendwann machen kann, wenn man mal mit irgendetwas aufhört, sondern auch die Freizeit dazu nehmen. Ich habe privat eine kleine Stiftung für das Kinder-Klinikum hier in Schwabing ins Leben gerufen. Und es übermannt mich immer wieder vor Ort zu sehen, unter welchen Bedingungen die Kollegen in den Kliniken teilweise arbeiten müssen. Und zwar Bedingungen wie die emotionale Belastung, die Arbeitsbelastung und auch die wenige Anerkennung, die die Fachkräfte in den Kliniken bekommen. Und was ich super spannend finde ist, dass der Großteil der Führungskräfte, ob bei den Pflegern, ob bei den Ärzten, ob bei den Spezialisten, weiblich ist. Und ich habe die in der Tat mal gefragt, warum das so ist. Und man höre und staune. Die Antwort war, dass die Männer der emotionalen Belastung nicht standhalten. Und das hat mich nachhaltig beeindruckt.

Andrea Rexer: Ich verstehe. Da haben die uns aber an einer Stelle, ich sag jetzt nicht an welcher, noch was voraus. Aber unterm Strich heißt das, dass man seinen Job nicht hinwerfen muss, um etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun, oder?

Michael Diederich: Nein, überhaupt nicht. Und lass mich da drei Gedanken mit dir teilen. Zum einen bin ich davon überzeugt, dass wir als Bank auch für die Gesellschaft wichtig sind. Das haben wir in der aktuellen Krise sehr deutlich gezeigt und bewiesen. Ohne unsere Hilfestellung wären viele Kunden nicht durch diese Krise gekommen. Und wir haben gemerkt: Wir sind systemrelevant. Und auf der anderen Seite ermuntern wir ja sehr viele Kolleginnen und Kollegen, sich auch gesellschaftlich zu engagieren. Neben ihrem Job, wenn du so willst. Deswegen haben wir ja auch einige Programme ins Leben gerufen, um das zu fördern. Zum Beispiel das Volunteering-Programm "Ehrensache", oder dass "Wir für die Region"-Programm, indem sich Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum in ihrer Region ehrenamtlich in gemeinnützigen Organisationen vor Ort engagieren können. Und wir sind damit wirklich super erfolgreich. Im vergangenen Jahr hat allein das Programm "Ehrensache" 285 zusätzliche Urlaubstage oder 29 000, eine unglaubliche Zahl, an freiwilligen Stunden hervorgebracht.

Andrea Rexer: Unser Mitarbeiter-Engagement ist jetzt durch die Pandemie natürlich beeinträchtigt. Überall steigen die Infektionszahlen. Man kann gar nicht mehr so agieren, wie man es vielleicht möchte. Und wahrscheinlich ist das auch die Frage, die sich die meisten Zuhörer stellen: Wie gehen wir denn mit den steigenden Infektionszahlen um? Was gibt es denn da Neues bei uns in der Bank, Michael?

Michael Diederich: Ich glaube, man kann es aktuell überall lesen und hören. Die Lage ist leider wirklich sehr ernst. Wir stehen vor oder sind mitten in der zweiten Welle. Wir müssen da sehr behutsam und vorsichtig mit umgehen. Wir sind bisher mit unserem sehr sicherheitsbetonten Ansatz gut gefahren und reagieren auch in Abhängigkeit von der Entwicklung auf das Infektionsgeschehen.

Andrea Rexer: Das hat ja auch schon im Frühjahr sehr gut geklappt.

Michael Diederich: Wir standen da eng zusammen. Wir konnten auf jeden einzelnen zählen und die aktuelle Entwicklung mit den steigenden Infektionszahlen zwingt uns genau dazu, die Sicherheitsmaßnahmen wieder zu verstärken.

Andrea Rexer: Was heißt denn das ganz konkret? Man verliert ja manchmal ein bisschen den Überblick, was man noch darf, was man nicht darf. Magst du uns da kurz einen Einblick gewähren?

Michael Diederich: Deutschland ist seit Mitte Oktober auf unserer eigenen Liste aus unserer Gruppen als Risiko-Land klassifiziert. Das heißt Geschäftsreisen aus Deutschland, innerhalb von Deutschland und oder nach Deutschland sind damit grundsätzlich verboten. Ausnahmen können entweder durch mich oder durch einen anderen Kollegen aus dem European Management Commitee genehmigt werden. Ausgenommen von all den Regelungen sind natürlich die Pendler oder essentiell notwendige Kundentermine. Diese müssen aber dann von den jeweiligen Bereichsleitern vor Ort genehmigt werden. Das zeigt, dass wir auch da mit Augenmaß, aber immer vor dem Hintergrund "Schutz von Leib und Leben" agieren.

Andrea Rexer: Das war jetzt die eine Liste. Daneben gibt es noch eine zweite Liste, nämlich die mit den regionalen Hotspots innerhalb von Deutschland.

Michael Diederich: Stimmt. Und leider wird die Liste auch jeden Tag länger. Seit Mitte Oktober ist zum Beispiel München auch auf dieser Liste. Und ist eine Region erst lokaler Hotspot, gelten dort verschärfte Regelungen, die wir dann beachten. Wir versuchen flexibel und sehr präzise auf einzelne Regionen zu reagieren.

Andrea Rexer: Und wenn man auf dieser Hotspot-Liste ist, dann betrifft das auch die Anwesenheit in den Bankräumen, oder? Das heißt zum Beispiel keine physischen Meetings, richtig?

Michael Diederich: Richtig. Ist ein Ort auf so einer Liste, wird sowohl die physische Präsenz in den Vertriebs-Standorten als auch die Zahl in den Rotationsgruppen der übrigen Teams reduziert. Zum Beispiel sollten die Mitglieder der Rotationsgruppe in der Büro-Woche dann nur drei statt fünf Tagen ins Büro kommen und die übrigen Tage von Zuhause aus arbeiten.

Andrea Rexer: Und wenn jemand jetzt Angst hat, überhaupt ins Büro zu kommen? Kann der dann zu Hause bleiben?

Michael Diederich: Ja und dafür brauchen wir die Führungskräfte vor Ort. Und ich weiß, so wie wir vor der Sommerpause mit Sinn, Herz und Verstand die beste Lösung für den jeweiligen Mitarbeiter gefunden haben, so finden wir die auch dieses Mal. Und da waren wir auch schon vor der Sommerpause mit viel Solidarität und mit einer klaren Guidance unterwegs, sodass wir neben der individuellen Lösung auch immer das Mitgefühl, den Menschenverstand und auch immer die einzelne Situation im Auge hatten.

Andrea Rexer: Und aktuelle Maßnahmen, wie auch die aktuelle Hotspot-Liste stehen im Detail ja auch im Intranet.

Michael Diederich: Ja und ich bin froh, dass die auch regelmäßig besucht wird, weil sich dann jeder ein Bild davon machen kann, wo wir gerade stehen. Und wie gesagt, landauf, landab, ob bilateral oder in großen Runden, wir werden immer wieder darauf angesprochen, nicht nur von den eigenen Kollegen, sondern auch von anderen befreundeten Unternehmen, wie gut wir das bisher bewältigt haben. Wir waren räumlich auseinander, sind menschlich aber enger zusammengerückt. Wir sind beim ersten Mal vernünftig da durchgekommen und wir werden auch dieses Mal vernünftig durchkommen. Wir haben die Erfahrung aus der ersten Welle und ich weiß, ich kann mich da auf jeden einzelnen verlassen.

Andrea Rexer: Im Frühjahr hieß es ja, dass wir die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise erst im Herbst so richtig zu spüren bekommen werden. Dann gab es mal bessere, mal schlechtere Prognosen. Und jetzt, du hast es gerade schon gesagt, kämpfen wir mit oder besser gesagt gegen die zweite Welle. Was meinst du? Wie geht das denn jetzt weiter?

Michael Diederich: Angesichts der erneut steigenden Zahlen ist es wirklich sehr, sehr schwierig zu beurteilen. Aber dazu hast du ja einen Ökonomen für diesen Podcast eingeladen. Ich bin sehr gespannt, wie Clemens Fuest die Lage beurteilen wird.

Andrea Rexer: Das bin ich auch. Ich freue mich daher sehr, dass ich jetzt Clemens Fuest am Telefon begrüßen darf. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der LMU in München, Präsident des ifo-Instituts und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Finanzministerium. Er hat einen wirklich guten Blick auf die aktuelle Lage. Herr Fuest, alle haben gesagt, im Herbst bekommen wir die Auswirkungen von Corona richtig zu spüren. Nicht nur gesundheitlich, sondern auch wirtschaftlich. Und jetzt steuern wir gerade schon auf die zweite Welle zu. Was bedeuten denn die erneut hohen Infektionszahlen für die Wirtschaft?

Clemens Fuest: Die steigenden Infektionszahlen belasten die Wirtschaft. Das Konsumenten-Vertrauen wird beschädigt. Die Firmen werden wieder stärker darüber nachdenken, ob sie Aktivitäten herunterfahren. Die neuen Infektionszahlen, die wir heute sehen, sind nicht so ganz vergleichbar mit denen aus dem Frühjahr, weil wir mehr testen. Wenn wir im Frühjahr genauso viel getestet hätten wie heute, dann hätten wir im Frühjahr auf dem Höhepunkt ungefähr 16 000 Neuinfektionen pro Tag gefunden. So weit sind wir noch nicht. Die Dynamik weist natürlich nach oben. Insofern gefährdet das Ganze die wirtschaftliche Erholung.

Andrea Rexer: Herr Fuest, die Bundesregierung hat ja beschlossen, dass die Programme zur Förderung oder Unterstützung der Wirtschaft verlängert werden. Was bedeutet das denn? Sehen Sie das positiv oder birgt das die Gefahr, dass wir Zombie-Unternehmen durchfüttern?

Clemens Fuest: Je länger das geht, desto schwieriger wird es. Aus meiner Sicht müsste man jetzt eigentlich verstärkt darauf setzen, dass sich bei Unternehmen, die überschuldet sind, die Kreditgeber an einen Tisch setzen, statt nach dem Staat zu rufen. Das heißt, die Banken müssten auf Forderungen verzichten und insbesondere natürlich die Eigenkapitalgeber. Also auf Dauer kann der Staat die Unternehmen nicht finanzieren.

Andrea Rexer: Was heißt das denn für die Banken? Wir arbeiten ja hier in der Finanzbranche. Was heißt das für uns? Gibt es eine Bankenkrise? Was sehen Sie?

Clemens Fuest: Also die Banken werden Wertberichtigungen vornehmen müssen. Das haben sie teilweise schon, aber das wird möglicherweise zunehmen. Die Banken waren vor der Krise ganz gut kapitalisiert, besser als vor der Finanzkrise. Gott sei Dank. Das wird aber mit Sicherheit zu einer Belastung. Gar keine Frage. Ich denke nicht, dass wir gleich in eine neue Bankenkrise rutschen. Wenn das passiert, gibt es ja dafür auch Vorkehrungen. Aber es ist klar, es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Kapitalgeber die Lasten auf den Staat abwälzen können.

Andrea Rexer: Da sind wir hier in Deutschland mit den Programmen der Regierung ganz gut ausgestattet. Aber Deutschland hängt ja auch an der Konjunktur Europas. Wie sehen Sie denn da die nähere Zukunft? Wie geht es denn mit der Konjunktur in Europa oder dann auch weltweit weiter?

Clemens Fuest: In Europa ist es gespalten. Wir haben ganz schlechte Entwicklungen in Italien, Spanien und Frankreich. Da erwarten wir dieses Jahr Wachstumsraten um minus zehn Prozent. Etwas besser sieht es außerhalb Europas aus. Die USA werden wohl recht gut durch die Krise kommen, nach dem, was man jetzt sieht, vielleicht sogar etwas besser als Deutschland. Deutschland gehört ja auch zu den Ländern, die etwas besser durchkommen. Wahrscheinlich nur fünf bis sechs Prozent Schrumpfung dieses Jahr. Aber es ist klar, innerhalb Europas nehmen die Spannungen zu, weil die Pandemie die Länder so unterschiedlich getroffen hat.

Andrea Rexer: Wenn wir über die langfristigen Folgen der Pandemie sprechen, was bedeutet das dann für die Volkswirtschaften? Könnte es sein, dass das ein Ende der Globalisierung bedeutet?

Clemens Fuest: Ein Ende der Globalisierung würde ich nicht annehmen. Es kann schon sein, dass der Protektionismus jetzt nochmal zunimmt. Wenn wir uns erinnern, gab es in der Finanzkrise eine Vereinbarung unter den G20-Staaten, nicht zu mehr protektionistischen Mitteln zu greifen. So eine Vereinbarung haben wir dieses Mal nicht gehabt. Das zeigt schon, dass es schwieriger wird. Wir haben zusätzlich den Konflikt zwischen den USA und China. Also Protektionismus kann schon zunehmen. Was ich nicht glaube ist, dass man Wertschöpfungsketten re-nationalisieren wird, wie manche das fordern. Das wäre nicht klug. Wenn man mehr Sicherheit haben will, muss man eigentlich sogar noch stärker globalisieren. Es ist besser, wenn man Lieferanten aus verschiedenen Ländern hat, nicht nur aus einem Land. "Risiken abbauen" heißt eben nicht alles nach Hause verlagern, sondern das heißt international diversifizieren.

Andrea Rexer: Aber das heißt, die Wirtschaftsstruktur innerhalb Deutschlands wird sich dadurch auch verändern?

Clemens Fuest: Ja, die wird sich bestimmt verändern. Man wird, denke ich, mehr Gewicht auf die Sicherheit der Wertschöpfungsketten legen. Das bedeutet, dass die Kosten ein bisschen steigen, dass man aber international noch diversifizierter ist. Also ich würde eigentlich eher damit rechnen, dass die Globalisierung auf dieser Ebene zunimmt. Dem kann ein gewisser verstärkter Protektionismus, den wir auch sehen, entgegenwirken. Aber ich glaube nicht, dass es so ausgehen wird, dass die Globalisierung wirklich zurückgefahren wird.

Andrea Rexer: Was denken Sie über den Megatrend "Nachhaltigkeit"? Es gibt ja verschiedene Stimmen. Die einen sagen: "Naja, durch die Pandemie wird die Nachhaltigkeit automatisch gestärkt und beschleunigt", und andere sagen: "Wenn wir kein Geld haben, dann verzichten wir lieber auf Umweltauflagen et cetera." Wie sehen Sie das?

Clemens Fuest: Ich glaube nicht, dass wir keinen Umweltschutz mehr machen, weil wir jetzt ärmer geworden sind. Denn wenn man ärmer ist, kann man Risiken schlechter tragen. Und Klimawandel zum Beispiel bringt ja verstärkte Risiken. Ich denke nicht, dass wir weniger Klimaschutz bekommen werden, sondern eher mehr. Das ist ja auch ein Trend der Zeit. Wir müssen allerdings aufpassen, dass das Ganze nicht in eine dirigistische Investitionslenkung führt. Was wir derzeit sehen, im Sustainable Finance Bereich, ist so eine Mischung. Auf der einen Seite Risiken sichtbar machen und richtig bepreisen, das ist gut und da muss man auch Aspekte wie Nachhaltigkeit und Klimawandel berücksichtigen, auf der anderen Seite haben wir aber so ein bisschen Neigung zur Investitionslenkung. Grüne Investitionen privilegieren und das ist falsch. Die Umweltpolitik muss dafür sorgen, dass die Preise stimmen, dass CO2-Emissionen bepreist werden. Aber ist es schlecht, wenn man jetzt anfängt, die Kapitalströme insgesamt administrativ zu steuern zum Beispiel nach der EU-Taxonomie? Das halte ich für wirklich problematisch.

Andrea Rexer: Und was würden Sie jetzt als Experte empfehlen, wie wir am besten aus dieser Krise rauskommen. Was müsste passieren? Ist das, was wir machen richtig, oder würden Sie es anders angehen?

Clemens Fuest: Ja, da ist natürlich ein ganz großes Feld. Ich denke, bislang ist vieles richtig gemacht worden. Richtig war, im frühen Stadium der Krise sehr stark staatlich zu stabilisieren. Das hat dann dazu geführt, dass wir eine Finanzkrise vermeiden konnten. Das wäre auch schlecht gewesen, wenn wir in eine Abwärtsspirale geraten wären. Das hat man abgewendet. Das war richtig. Ist es auch richtig, Konjunkturprogramme aufzulegen? Man muss meines Erachtens da auch wieder darauf achten, gerade in Europa, dass wir mit den staatlichen Hilfen den Wandel nicht komplett blockieren und auch die richtige Anpassung an die Krise. Wenn wir mal das Kurzarbeitergeld nehmen, sehr gutes Instrument in der akuten Krise, aber mittelfristig ist das natürlich ein Instrument, bei dem man dafür bezahlt wird, nicht zu arbeiten. Wir müssen die Leute stärker dafür bezahlen zu arbeiten, und das Job-Finden fördern. Insofern sollten wir das Kurzarbeitergeld jetzt irgendwann auslaufen lassen bzw. es nicht noch verlängern, wie es bis jetzt in Deutschland geplant ist. Also das jetzt schon bis Ende kommenden Jahres zu verlängern, das ist meines Erachtens ein Fehler, weil es eben Leute davon abhält, zwischenzeitlich woanders zu arbeiten oder sich auch einen ganz eigenen Job zu suchen.

Andrea Rexer: Wenn man das macht, steigt natürlich die Arbeitslosigkeit kurzfristig stark an, oder?

Clemens Fuest: Genau, dann steigt die Arbeitslosigkeit an, aber es geht ja vor allem darum, dass die Leute in neue Jobs wechseln. Man kann ja durchaus arbeiten. Zunächst mal sollte man das Kurzarbeitergeld bis März weiterzahlen. Aber danach, denke ich, müssen wir schon auch hinnehmen, dass es ein bisschen mehr Arbeitslosigkeit gibt, denn das führt ja dazu, dass die Leute dann auch in andere Firmen wechseln, in andere Beschäftigung wechseln und das braucht die Wirtschaft. Kurzarbeitergeld bekommen, heißt ja eigentlich auch arbeitslos sein.

Andrea Rexer: Das stimmt. Aber wo sehen Sie denn diese neuen Jobs? Sind die, die Leute hin gehen sollen? Die Automobilindustrie litt ja auch schon vor der Krise. Wo könnten denn in Deutschland Jobs entstehen?

Clemens Fuest: Es gibt ja jetzt alle möglichen Bereiche, in denen Leute fehlen, wenn wir mal das Gesundheitswesen nehmen, wenn wir Teile des Dienstleistungssektors nehmen. Da ist natürlich immer die Frage: passt jetzt die Ausbildung? Deshalb ist es auch wichtig, dass man in Weiterbildung investiert. Aber das wäre eine Möglichkeit, dass man den Leuten sagt: "Okay, jetzt wird die Kurzarbeit nicht verlängert, aber ihr kommt in Qualifizierungsmaßnahmen, lernt was dazu im Bereich IT." Und dann findet man auch wieder Beschäftigung.

Andrea Rexer: Bildung war ja auch in der Pandemie ein großes Thema. Wie gut hat das funktioniert? Wenn Sie das Thema Homeschooling und Digitalisierung in der Bildung nehmen, welches Zeugnis würden Sie da für Deutschland erstellen?

Clemens Fuest: Es ging so. Es hat da große Bemühungen gegeben, aber es ist deutlich geworden, dass wir organisatorisch nicht darauf vorbereitet sind, auch von der ganzen Mentalität her auf so eine Krise sehr schnell zu reagieren. Was mir Gedanken macht, ist, dass wir auch jetzt nach dem Sommer, nach meinem Eindruck nicht wirklich darauf vorbereitet sind, unter den Bedingungen dieser Pandemie Schulen zu betreiben. Und das ist wirklich ein großes Problem. Ich denke, da hätte man von Anfang an mit mehr Energie sich bemühen müssen, Programme zu entwickeln, vielleicht auch mal ganz neu denken. Also nicht nur überlegen, wie können wir jetzt den Unterricht in der Klasse digital abhalten, sondern können wir vielleicht auch völlig neue Formate entwickeln, damit die Schüler etwas lernen? Die Lage ist ja wirklich ernst. Gerade Kinder aus bildungsfernen Haushalten fallen derzeit stark in der Schule zurück und es wird ganz schwierig sein, das wieder auszubügeln. Also das ist meines Erachtens nicht so gut gelaufen.

Andrea Rexer: Lassen Sie mich zum Abschluss noch zwei Themen ansprechen, die mit der Pandemie nichts zu tun haben, aber die trotzdem unsere Wirtschaft beeinflussen, nämlich der Brexit und die US-Wahl. Was steht uns denn Ihrer Einschätzung nach da noch in diesem Herbst bevor?

Clemens Fuest: Da steigt natürlich die Unsicherheit, vor allem was den Brexit angeht. Ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass es zu einer Einigung kommt. Aber es wird jetzt natürlich extrem eng und man muss sich darauf einstellen, viele Firmen tun das auch, dass es eben keine Einigung gibt. Der Schaden wäre sehr groß, glaube ich. Jetzt in der Konjunkturlage können wir keinen harten Brexit gebrauchen. Das ist eine kurzfristige Belastung. Aber noch schlimmer ist die mittel- und langfristige Belastung. Aus meiner Sicht wird, wenn es dazu kommt, der harte Brexit die Beziehungen auf lange Sicht vergiften und die Zusammenarbeit belasten. Deshalb wäre es schon wünschenswert, dass man sich nochmal am Riemen reißt. Derzeit wird ja noch über Fischereirechte diskutiert und die Subventionskontrolle. Es kann nicht sein, dass das Ganze daran scheitert. Da müssen beide Seiten ein bisschen aufeinander zugehen. Also ich habe immer noch die Hoffnung, dass es dazu kommt.

Andrea Rexer: Und zum Thema US-Wahl, wie wird es da für uns aussehen?

Clemens Fuest: Ich denke, dass der Einfluss auf uns vielleicht doch geringer sein wird, als viele glauben. Auch Biden wird stark unter Druck stehen vermeintliche US-Handelsinteressen zu verteidigen. Ich glaube vor allem die Tonalität wird sich da ändern. Ob sich die Substanz ändert, da bin ich nicht so sicher. Auch im Konflikt mit China. Das sind schon tief liegende Dinge. Auch bei den Demokraten ist der Freihandel nicht so übermäßig beliebt. Es könnte sein, dass sich da mehr die Tonalität ändert als die Substanz, was bedeutet, dass es für die Wirtschaft jetzt nicht so entscheidend ist.

Andrea Rexer: Nun hat die Bundesregierung ja große Hilfsmaßnahmen verabschiedet. Was bedeutet das eigentlich für die künftigen Generationen? Wir haben uns ja mit Schulden eingedeckt bis über die Oberkante.

Clemens Fuest: In der Rezession ist es schon richtig, sich sehr hoch zu verschulden. Denn wenn die Wirtschaft komplett abstürzt, dann erholte sie sich auch nicht so schnell wieder. Auch das belastet ja künftige Generationen. Insofern war es schon richtig. Vieles von dem, was jetzt an staatlichen Geldern herausgegeben wird, fließt ja hoffentlich auch zurück. Da sind viele Kredite dabei. Trotzdem wird es nach der Krise wichtig sein, dass sich dann die Finanzpolitik wieder ändert. Dass man die Defizite abbaut und dass man ein klares Bekenntnis dafür abgibt, dass man zu ausgeglichenen Haushalten zurückkehrt. Denn das führt dann dazu, dass die Zinsen niedrig bleiben, die das Vertrauen der Investoren in die Solidarität der Staatsfinanzen erhalten bleibt. Und das erleichtert dann auch wirklich, die Schulden abzubauen. Schaffen kann man das, insbesondere dann, wenn die Zinsen eben nahe bei null bleiben oder sogar negativ sind.

Andrea Rexer: Ja, ganz herzlichen Dank, Herr Fuest. Und zum Abschluss noch eine ganz persönliche Frage: wie blicken Sie in den Herbst? Gibt es etwas, auf das Sie sich persönlich freuen?

Clemens Fuest: Ach, das würde ich gerne. Aber es wird schwierig. Was ich belastend finde ist, ich glaube, das wird Ihnen auch so gehen, dass eben vieles wegfällt an Veranstaltungen, an Tagungen und so weiter. Und wir hocken halt, wie jetzt auch die ganze Zeit, im Homeoffice. Ehrlich gesagt freue ich mich aufs Skifahren zu Weihnachten. Aber ob das klappt, müssen wir auch noch abwarten. Wie ist es bei Ihnen?

Andrea Rexer: Das stimmt. Da geht es uns, glaube ich allen gleich. Alle freuen sich und dann wird es doch nichts. Wir bleiben aber optimistisch. Herr Fuest, vielen Dank für das informative Gespräch und herzlichen Dank für Ihre Zeit.

Clemens Fuest: Vielen Dank, Frau Rexer.

Clemens Fuest: (Jingle)

Andrea Rexer: Michael, hat es dich denn überrascht, was Herr Fuest gesagt hat?

Michael Diederich: Überhaupt nicht. Also erstens ist Herr Fuest mit seinem ifo-Institut sehr renommiert und ein ausgewiesener Experte. Und es gibt immer verschiedene Blickwinkel auf eine Sache. Und das ist auch gut, weil das den Denkprozess in Gang hält. Bei uns hat Corona nach einer ersten kleinen Phase der Unsicherheit dazu geführt, dass wir als Team enger zusammengestanden sind. Der Lockdown hat, ohne zu sarkastisch wirken zu wollen, dazu geführt, dass wir als Team gestärkt wurden. Wir haben aber auch gemerkt, was wir gemeinsam erreichen können, weil wir uns aufeinander verlassen können. Und wenn es jetzt einen zweiten Lockdown geben sollte, sind wir darauf vorbereitet und weiterhin für die Kunden und für jeden einzelnen Mitarbeiter da.

Andrea Rexer: Herr Fuest hat ja auch gesagt, dass sich bei überschuldeten Unternehmen die Kreditgeber an einen Tisch setzen sollten, um Zombie Unternehmen zu verhindern, anstatt den Staat um Hilfe zu bitten. Da fühle ich mich irgendwie angesprochen, hier als Bank. Wie siehst du das?

Michael Diederich: Das machen wir ja schon. Bei all den Lösungen, die wir gemeinsam mit der KfW erarbeitet haben und bei all den individuellen Finanzierungsanfragen sitzen wir ja mit dem Kunden gemeinsam am Tisch und überlegen genau: was ist das ideale Instrument, um den Kunden in dieser schwierigen Phase zu helfen. Das wird gegebenenfalls in den nächsten Wochen und Monaten zunehmen. Ich glaube, wir sind darauf vorbereitet. Wir haben gezeigt, wozu wir in der Lage sind, bei all den KfW Programmen. Wir haben über 3000 Zusagen im August gehabt. Wir haben über drei Milliarden an Finanzierungen gestellt und fast doppelt so großen Marktanteil wie bei unseren normalen Unternehmensfinanzierungen. Das zeigt alles, dass wir sehr individuell, sehr präzise mit unseren Kunden darüber reden und immer versuchen, für die besondere Situation die richtige Lösung zu finden.

Andrea Rexer: Glaubst du denn, dass es eine Insolvenz-Welle geben wird?

Michael Diederich: Ich glaube, der Herr Fuest hat es auch angesprochen. Die Politik hat die Rettungsprogramme gerade nochmal verlängert. Dadurch wird die akute Insolvenzgefahr im Herbst voraussichtlich erst einmal nicht eintreten. Im nächsten Jahr ist die Bundestagswahl. Ob man dann wirklich alle diese Rettungsprogramme auslaufen lässt, mitten in einem Jahr, was für Deutschland so bedeutsam ist, ist fraglich.

Andrea Rexer: Ja, da könntest du natürlich recht haben. Trotzdem stellt sich mir die Frage: wie steht es denn um unsere Bank? Die Sorge unserer Kolleginnen und Kollegen ist natürlich, dass auch Banken in Schwierigkeiten geraten könnten. Und wir haben ja schon am Anfang das Zitat gehört, in dem Herr Fuest sagt: "Die Banken werden Wertberichtigungen vornehmen müssen".

Michael Diederich: Wir hatten darauf hingewiesen, wir sind wirklich gestärkt in diese Krise gegangen. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wir hatten eine der besten Risiko-Quoten im deutschen Bankenmarkt, als diese gesamte Krise hier begonnen hat. Wir haben vorgesorgt. Wir haben eine genügend große Eigenkapital-Position, sodass ich glaube, wir sind sehr gut positioniert und aufgestellt für alles, was da kommen mag. Generell haben viele Banken nach der Finanzkrise eine ganze Menge gemacht, um ihre Bankbilanz zu stärken. Von daher glaube ich, dass der gesamte Bankenmarkt sehr gut aufgestellt ist.

Andrea Rexer: Herr Fuest hat auch an einem Punkt eingehakt: er sagte, dass die Länder in Europa von den Auswirkungen wirtschaftlich sehr unterschiedlich betroffen sind. Er hat Italien als eines der Länder genannt, die Wachstumsraten von minus 10 Prozent erwarten. Betrifft uns das als Tochter einer italienischen Gruppe auch?

Michael Diederich: Wir haben am Leadership Tag darüber gesprochen, dass wir eine Deutsche Bank mit europäischen Wurzeln sind. Wir können stark und selbstbewusst auf das blicken, was wir hier erreicht haben und wie wir positioniert sind im Bankenmarkt. Ich glaube, wir müssen uns keine Sorgen machen. Da gibt es ein paar andere, die haben mehr Sorge. Und die sind ja gerade dabei, sich bei einer ruhigen Tasse Tee Gedanken zu machen, was uns Zeit gibt, um uns um deren Kunden zu kümmern.

Andrea Rexer: Das war doch ein super Schlusswort. Und damit sind wir auch schon wieder am Ende unserer heutigen Folge. Vielen Dank.

Michael Diederich: Danke auch von meiner Seite.

Andrea Rexer: Der nächste Podcast kommt am 5. November. Schicken Sie uns Ihr Feedback und Ihre Anregungen gerne wieder an das Podcast Postfach hvbpodcast@unicredit.de. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal.

Michael Diederich: Ich freue mich auf die zehnte Sendung. Du hast gesagt, das ist unser Jubiläum, oder?

Andrea Rexer: Das stimmt. Und in der Ehe würde man das zehnjährige Jubiläum eine Rosen-Hochzeit nennen, dann wäre das gewissermaßen ein Rosen-Podcast.

Michael Diederich: Bekomme ich eine oder kriegst du eine?

Andrea Rexer: Das kannst du dir aussuchen.

Michael Diederich: Danke. Das klingt doch super und ich freue mich darauf. Passen Sie auf sich auf und bleiben Sie gesund.

Michael Diederich: (Outro)

Über diesen Podcast

Andrea Rexer, Kommunikationschefin der HypoVereinsbank, diskutiert mit dem CEO Michael Diederich regelmäßig über die wichtigen Themen in der Bank und der gesamten Finanzbranche. Gemeinsam mit einflussreichen Wirtschaftsführern, herausragenden Wissenschaftlern und klugen Köpfen aus den verschiedensten Bereichen blicken sie in die Realwirtschaft und auf die Entwicklungen in unserer Gesellschaft.

Hier bekommen Sie spannende Einblicke in die Finanzwelt und in die HypoVereinsbank – und das aus allererster Hand.

von und mit Andrea Rexer, Michael Diederich

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